Zurück am Startplatz!
Ein paar Worte zu meiner Person: Mein Name ist Walti und bin am vergangenen 14. August Fünfzig geworden. Ich fliege seit dem 05.08.2015 und habe die Gleitschirmprüfung am 26.02.2016 erfolgreich bestanden. Mittlerweile habe ich mehr als 1000 Flüge unfallfrei absolviert. Beim fliegerischen Können stufe ich mich im mittleren Bereich ein. Ich fliege viel, gehe aber eher wenig auf Strecke; halt ein Genuss-Gleitschirm-Pilot.
Am 28.08.2022 verliess mich das Glück und doch war das Glück auch auf meiner Seite. Das Sprichwort „Glück im Unglück“ kommt nicht von ungefähr. Während über 25 Jahren habe ich keinen einzigen Tag wegen Krankheit gefehlt und bin durchschnittlich fit. Irgendwann in der Nacht vom 28.08.2022, ca. zwischen Mitternacht und 1:00 Uhr, hatte ich unmittelbar eine Hirnblutung ein wenig links vom Zentrum des Gehirns. Anfänglich spürte ich nicht viel. Der rechte Arm fühlte sich jedoch an, wie eingeschlafen. Es fühlte sich aber etwas weniger an, als das bekannte „Chrüsele“, das man bei einem eingeschlafenen Arm sonst verspürt. Dass mein Arm immer wieder einschläft, war mir bekannt und ist auch unbedenklich, somit schlief ich normal wieder ein. Als ich ein weiteres Mal erwachte, war das Gefühl immer noch gleich und ich machte mir auch dann noch keine weiteren Gedanken.
Als ich am Morgen aufstand, konnte ich den rechten Arm nicht mehr, wie gewohnt, koordiniert bewegen. Ich fragte meine Partnerin, ob ich im Gesicht anders aussehe, als sonst. Anfänglich meinte sie: Nicht anders als sonst am Morgen. Sie fragte nach warum und ch erzählte ihr von meinem schlecht koordinierbaren Arm und der Hand. Wir entschieden uns, zur Abklärung ins Kantonspital Uri zu fahren.
Bei der Untersuchung ergab sich schnell eine Diagnose. Die Ärztin meinte, ich hätte Glück gehabt. Es sei kein Hirnschlag, aber eine Hirnblutung. Für mich war im dem Moment beides gleich schlimm. Ich wurde schnell ins Kantonspital Luzern gebracht. Dort war ich in ebenfalls in guten Händen. Liegen, liegen, Untersuchungen, liegen und weitere Untersuchungen waren angesagt. Genau das, was ich am Schlechtesten kann: Liegen und Nichts tun. Damit man sich ein Bild machen kann: Die Grösse der Hirnblutung war etwa wie ein größeres Hühnerei. Nach unzähligen Untersuchungen des Herzens und des Gehirns, war die Diagnose aus der Sicht der Ärzte soweit klar: Der Auslöser der Hirnblutung hatte einen Zusammenhang mit dem zu hoher Blutdruck.
In dieser Zeit hatte ich viel, zu viel Zeit, zum Studieren. Warum? Wenn es schlimmer gewesen wäre? Werde ich wieder normal? Kann ich wieder Fliegen? Wann kann ich wieder Fliegen? Kann ich wieder Auto fahren? Wie überbrücke ich es mit dem Arbeitsplatz? Kann die Firma gehalten werden? Können meine Mitarbeiter die Aufgaben alle bewältigen? Kann ich die lang ersehnte Gleitschirmreise mit Fly with Andy und die anschließende Afrikareise über Weihnachten und Neujahr überhaupt antreten? Wie geht es weiter? usw.
Als ich mich wieder gefangen hatte, mein Inneres Ich und die Situation in die Hände nahm, kam auch wieder der Kampfgeist. Bereits nach 2 Tagen konnte ich, wenn auch nur wackelig, auf den Beinen stehen und anschliessend durch einen Impuls schon wieder ein paar wenige Schritte laufen. Nach und nach arbeitete ich auch an den anderen fehlenden Funktionen. Schon bald gehörte im Spital der Korridor mir. Ich lief hin und her, bis ich einigermaßen das Gleichgewicht kontrollieren konnte. Nicht unerwartet von mir, wollte ich vom Luzerner Krankenhaus weg. Ich brauchte Veränderung und Ablenkung, denn leider sah ich im Spital sehr großes Elend, dass mich psychisch nicht wirklich weiterbrachte. Unter Vorbehalt durfte ich das Spital wieder verlassen und mich in die vom Luzerner Kantonspital vorgegebenen Therapie stürzen.
Der Weg zurück war nicht einfach, aber all meine Helfer im Spital, Privat, wie auch im Geschäft hatten vollste und beste Arbeit geleistet und mich unterstützt, wo es nur ging. Ja, ich bin sicher ein kleiner Kämpfer und verfolge meine Ziele bewusst und zielstrebig, denn ich wollte so schnell wie möglich wieder am Alltag teilnehmen. Wieder Arbeiten, Freunde treffen und natürlich auch wieder Fliegen. Mein Slogan war: Ändere den Weg, aber nicht das Ziel. Das habe ich gemacht und wieder begonnen zu arbeiten, wenn auch mit einem sehr kleinen Pensum. An der Motivation hat lag es nicht, denn immer wieder sah ich meine Ziele vor Augen. So schnell wie möglich den Schirm wieder aufziehen und dann starten. Das hatte ich immer im Hinterkopf. Wann, wieviel, wo? Ihr könnt es euch sicher gut vorstellen, dass dies noch in den Sternen stand. Ich besuchte die doppelte Anzahl Therapien und machte zusätzliche alternative Therapien um vorwärts-zukommen.
In Flüelen auf dem Fußballplatz übte ich „Groundhandling“ für die Koordination. Für den Tag an dem ich wieder vom Boden abhebe würde. Es war anstrengend, da ich schnell müde wurde. Nicht körperlich, sondern geistig. Dann kam der Tag der Wahrheit. Am 16.10.2022 wagte ich es. Nach allen ärztlichen Abklärungen und dem O.k. der Ärzte bestritt ich - in Begleitung natürlich - den Flug von der Marbachegg Süd nach Bumbach zum Alpenrösli. Ein Ableiter, der mehr Nervosität brachte, als der erste Höhenflug zu Beginn meiner Gleitschirmausbildung. Wow!! Das war ein Gefühl von Freiheit, Wiedergeburt und vor allem eine sehr grosse Erlösung und auch Erleichterung. Der Tag war perfekt, dass Wetter passte genau. Die erste Hürde war genommen. Ich war sehr dankbar dafür. Denn es war nicht ganz einfach beim Fliegen. Denn damals hatte ich auf der gesamten rechten Körperseite noch weniger Gefühl als heute. Heute lässt der Tastsinn noch etwa 30 - 40% auf sich warten. Das Schirmpacken war aber das Anstrengendste. Ich musste immer schauen, dass es mir dabei nicht „Trimmlig“ wurde. Dies begleitete mich noch sehr lange. Im November konnte ich meinen Jota DLS einfliegen und auch meine Ferien am 21.12.2022 antreten. Klar, hatte ich einige Einschränkungen. Es war mir auch bewusst, dass ich vielleicht nicht jeden Tag fliegen würde können und mich auf eher auf Spaziergänge und kleine Wanderungen einstellen müsste.
Am Meer, die Paradise Ridge hin und her fliegen gab mir einen guten Einstieg in die Südafrika-Ferien. Wir fuhren dann in’s Landesinnere. Dort, in Porterville, flog ich dann allerdings nur bis am Mittag. Ich fühlte mich bei der starken Thermik am Nachmittag nicht ganz wohl und wollte mich nicht in eine unnötige oder gar gefährliche Situation zu bringen. Heute arbeite ich fast 70 % und habe noch das eine oder andere kleine Handicap, das ich aber hoffentlich noch verlieren werde. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich so großartige Menschen um mich habe. Dankbar bin ich meiner Partnerin, meiner Familie, meinen Freunden, meinen Mitarbeitern und den Ärzten, die mich tatkräftig, viel, anpassend, hilfreich und motivierend unterstützt haben. Ich habe großen Respekt vor dem Fliegen und mache es auch mit großer Vorsicht. Ich sage immer: Es kann immer etwas passieren, selbst dann, wenn man auf eine Treppe steigt. Wenn man das Risiko nicht herausfordert, dann besteht die grösste Wahrscheinlichkeit für ein Happy Landing.